Frauen(-wahlrecht), Prohibition, Mafia

 

Im Gespräch erzählte ein guter Freund die Geschichte vom Frauenwahlrecht, der Mafia und der Prohibition. Er meinte, die Mafia in den USA habe das Frauenwahlrecht unterstützt, weil sie die Hoffnung hatte, dass die Frauen, wenn sie im Kongress vertreten wären, für die Prohibition stimmen würden, was die Geschäfte der Mafia doch erheblich beflügeln würde. Eine schöne Geschichte über den höhnenden Terror überraschender Zusammenhänge. Nur leider stimmt sie nicht und man könnte sich darüber Gedanken machen, mit welchem Ziel diese Geschichte kolportiert wird… Immerhin enthält die Geschichte Elemente der Wirklichkeit…

 

Seit dem Ende des Bürgerkriegs 1865 in den USA, den viele Teilnehmer kaum mehr ohne Alkohol ertragen konnten, was notabene statt die Probleme der (heute würde man sagen) posttraumatischen Belastungsstörungen zu lösen oder zu überdecken, neue Probleme schuf, kam es zu einer bemerkenswerten Steigerung des Alkoholkonsums in den USA. Daraufhin „forderten Frauengruppen der ‚Woman’s Christian Temperance Union‘ (WCTU) Mäßigung und Abstinenz. Die WCTU sah die Sittsamkeit der Frauen als Waffe der Gesellschaft gegen Alkohol, Glücksspiel und andere Sünden.“[1] Neben dem Alkoholverbot forderte die WCTU auch das Frauenwahlrecht. „Mit dem Wahlzettel bewaffnet, so argumentierten viele Frauenrechtlerinnen, könnten die Amerikanerinnen die Nation von Laster und Korruption befreien.“[2]

Wer gegen die Temperance-Kampagne dagegenhielt, waren die vorwiegend aus Deutschland stammenden Bierbrauer, allen voran die Brauerei Anheuser Busch, die vor allem die German American Society unterstützte, einen „Zusammenschluss deutscher Bierbrauer, der sich offen für die Bewahrung der deutschen Kultur der Einwanderer einsetzte. (…) Doch im Ersten Weltkrieg schlug die Stimmung im Land um. Alles Deutsche sollte verschwinden – sogar Sauerkraut wurde in ‚Liberty Cabbage‘ (Freiheitskraut) umbenannt.“[3] Die Prohibition war damit nicht nur eine im Wesentlichen evangelikale, ländliche und feministische Forderung, sondern in der Konsequenz auch eine, nun ja, antideutsche.

Am 17. Januar 1920 trat in den USA der 18. Verfassungszusatz in Kraft, der Herstellung, Verkauf, Transport, Einfuhr und Ausfuhr „berauschender Flüssigkeiten“ verbot. Das war der Beginn der Prohibition. Das Frauenwahlrecht trat allerdings erst danach am 26. August 1920 in Kraft. Die Prohibition war also keine Folge des Frauenwahlrechts, sondern, wie die NZZ schreibt: „Die wohl seltsamste Nebenwirkung von Alkohol.“[4]

Die Frage, welche Rolle die Mafia (und ihre diversen Organisationen irischer, jüdischer oder italienischer Provenienz) hatten, lässt sich relativ einfach beantworten, hier in den Worten des Regisseurs Seth Ferranti, der sagte: „Vor der Prohibition waren die Mafia nur Straßengangster, die Jagd auf die Menschen und Geschäfte in ihrer eigenen Nachbarschaft machten.“[5] Dass also „die“ Mafia oder andere kriminelle Organisationen das Frauenwahlrecht unterstützt hätten, ist eine schöne Geschichte, aber leider hält sie einer Überprüfung nicht stand. Die Temperenzler-Frauen und mit ihnen die Suffragetten benötigten keine Mafia, denn sie waren auch ohne sie stark.

 

Eine andere „schöne“ Geschichte im Zusammenhang mit der Prohibition ist allerdings die, dass der evangelikale Prediger Billy Sunday 1920 die Prohibition so pries: „Die Herrschaft der Tränen ist vorbei, die Slums werden bald Erinnerung sein. Aus unseren Gefängnissen machen wir Fabriken. Die Männer gehen wieder aufrecht, die Frauen lächeln, die Kinder jauchzen. Die Hölle wird für immer leer stehen.“[6] Es kam bekanntlich anders: „Das wohl problematischste Erbe der Prohibition betrifft jedoch ihre Auswirkungen auf das amerikanische System der Strafverfolgung und der Strafjustiz. Denn die Gefängnisse waren nicht, wie Billy Sunday prophezeit hatte, abgeschafft worden, sondern im Gegenteil zum Bersten voll. Allein in den Bundesgefängnissen verdreifachte sich die Zahl der Insassen, die meisten von ihnen verbüßten Strafen wegen Verbrechen im Zusammenhang mit der Prohibition. In den Gefängnissen der Bundesstaaten sah es ähnlich aus. Insgesamt verdoppelte sich die Gefängnispopulation zwischen 1920 und 1940.“[7] Das hat Auswirkungen bis heute, so sind 700 Personen von 100.000 in den USA im Gefängnis, in der Bundesrepublik Deutschland sind es 80 von 100.000[8]. Zu den weiteren Auswirkungen der Prohibition gehört, dass das organisierte Verbrechen sich seitdem in einer Weise entwickelt hat, dass es Teil der kapitalistischen Wirtschaftsweise ist und Teile Wirtschaft eines Landes am Laufen hält, zu einem letztlich hohen politischen Preis. Hans Koschnick hat einmal gesagt, er sehe im organisierten Verbrechen nicht die ganz große Gefahr, denn ab einem bestimmten Punkt würden diese Leute ihre Geschäfte legalisieren und anerkannter Teil der Gesellschaft werden wollen. Er bezog sich, wenn ich mich richtig erinnere, an die Situation in Russland nach Auflösung der Sowjetunion. Für seine Haltung hatte er just einige Unternehmer im Blick, die im Gefolge der Prohibition in den USA zu anerkannten Mitgliedern der bürgerlichen Gesellschaft geworden waren. Das war eine optimistische Sicht, die ich nur sehr bedingt teile. Denn das organisierte Verbrechen bleibt wenigstens in Teilen bei seinem Geschäftsmodell außerhalb und zum Schaden einer demokratisch-freiheitlichen Gesellschaft, wenn es so lukrativ ist und so viel Macht verleiht wie kaum ein anderes. Und dann fällt es immer mal auf, wenn es hin und wieder über die Stränge schlägt, was man lieber nur in der Form der Fiktion im Roman oder im Film behandeln möchte.